Die grosse Klammer

Entre nous, Gion Mathias Cavelty!

Gion, wo hast Du Dein Buch geschrieben?
Na ja, daran herumstudiert habe ich jahrelang an den verschiedensten Orten. Geschrieben habe ich es schliesslich bei mir zuhause im schönen Schwamendingen. Und zwar zuerst als Hörspiel für das Schweizer Radio. Da hatte ich einen Abgabetermin et cetera und MUSSTE es schreiben. Sonst würde ich jetzt noch daran herumstudieren. Aus dem Hörspiel ist es dann rasch zum Roman angewachsen. Wobei ich immer sage: Bücher sollten nicht länger als 100 Seiten sein.

Worum geht es, Deiner Meinung nach, in Deinem Buch?
Ich habe mich gefragt: Was für eine Figur ist am weitesten von mir weg? Was ist eine Figur, die an nichts zweifelt? Für die alles klar ist? Ich bin dann auf die Idee gekommen, einen Sportler zur Hauptfigur zu machen: Franz Klammer, den österreichischen Skirennfahrer. Er hat mir als Primarschüler am Bildschirm enormen Eindruck gemacht. Diesen ungebrochenen Charakter wollte ich frontal auf die grossen Fragen der Menschheit treffen lassen – und am Schluss natürlich als Sieger aus dieser Konfrontation hervorgehen lassen. So ist «Der Tag, an dem es 449 Franz Klammers regnete» entstanden.

Welche Themen, Geschichten, Diskurse interessieren Dich zurzeit grundsätzlich?
Grundsätzlich interessiert mich eigentlich immer das Gegenteil. Also, wenn etwas da ist, interessiert mich das nicht. Das ist da, weil es jemand anders schon gedacht respektive erschaffen hat. Wenn da ein Wort steht, interessiert mich, was auf der Rückseite des Wortes steht. Ich möchte alles umdrehen. Die Schöpfung auf den Kopf stellen. Wie die Gnostiker, diese grossartigen Satiriker.

Sind diese Themen für Dich neu oder eher ein Leitmotiv Deiner Arbeit?
Der Motor für mein Schreiben war immer die Stelle aus dem Johannesevangelium: «Und das Wort ist Fleisch geworden». Das möchte ich auch, dass aus meinem Wort Fleisch wird! Aber ein Fleisch, wie es es noch nie gegeben hat (siehe mein Buch «Die Andouillette»).

Mit welchen Gefühlen schaust Du auf die Niederschrift zurück?
Früher ist mir das Schreiben einfach leichter gefallen. Ich habe auch geraucht wie ein Schlot, 80 Zigaretten am Tag. Nikotin ist einfach grossartig fürs Hirn. Heutzutage muss ich mich mit tausend Tricks zum Schreiben tricksen. – Das neue Buch ist ja noch ganz frisch, aber ich glaube, ich habe alles bis zum Maximum gedreht, was ein Mensch überhaupt erleben kann. Das ist schon ein befriedigendes Gefühl.

Hegst Du bestimmte thematische Erwartungen an die Rezeption des Buches?
Ach, all diese E***s und wie diese Literaturbeamten sonst noch heissen, die seit Jahrzehnten in ihren dachshöhlenartigen Redaktionsbüros hocken, werden es wieder nur für Nonsens oder Trash halten. Oder hocken sie mittlerweile in Grossraumbüros aus Glas? Jedenfalls hocken sie noch.

Wie würdest Du es einordnen in die Reihe Deiner Texte?
Es ist eigentlich der sechste Teil einer Hexalogie, die vor 20 Jahren mit meinem ersten Buch «Quifezit oder Eine Reise im Geigenkoffer» begann. Darin erschrieb sich ein junger Mann zum Schriftsteller, aber seine erschriebene Welt zerfiel am Schluss wieder in Tausende von Buchstaben. Das Wort war nicht Fleisch geworden. Dann kam die Höllenwurst. Dann der Gott, der nichts (und vor allem nicht sich selbst) erschaffen wollte und am Schluss doch schöpfte, aber mit dem Gemüse als Krone der Schöpfung aufhörte. Und jetzt endet alles mit dem grossen Triumphator Franz Klammer. Der Bogen ist geschlagen.

Gion Mathias Cavelty, «Der Tag, an dem es 449 Franz Klammers regnete.
Ein höchst fiktiver Roman», Lector Books, Zürich 2017, geb., 144 Seiten.

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