Was die Realität ist
Entre nous, Renata Burckhardt!
Renata, wo hast Du Dein Buch geschrieben?
Zwischen Göttingen und Basel, Basel und München, München und Zürich, auch in Berlin und Lübeck, zwischen Zürich und Bern, und schliesslich in Zürich, in den verschiedenen Wohnungen, die ich bewohnt habe; die eine war sehr dunkel, ein Loch. Die andere von einer einzigartigen Aura, ich hätte sie kaufen sollen, habe ich aber leider nicht. Die eine war sehr laut und hell, als wären all ihre Membranen durchlässig, die eine war sehr elegant und einsam.
Worum geht es, Deiner Meinung nach, in Deinem Buch?
Um eine Figur, die nicht weiss, wie Heimat geht. Die aber versucht, Heimat wiederzuerlangen. Das aber ginge nur, wenn sie gesellschaftliche Codes erkennt, begreift und anwenden kann. Das gelingt ihr aber nicht. Es bleibt unklar, ob sie nicht will, nicht kann oder nicht muss. Dennoch wird sie auf eine dezente Weise wahnsinnig.
Welche Themen, Geschichten, Diskurse interessieren Dich zurzeit grundsätzlich?
Mich interessiert immer, was die Konventionen und Verabredungen sind, auf die sich eine Gesellschaft stützt, die eine Gesellschaft braucht, in der eine Gesellschaft aber auch übertreibt und mörderisch wird. Mit Gesellschaft meine ich sowohl kleinteilige Gemeinschaften, wie auch Viertel, Stadtbezirke, Städte, Länder, Gruppierungen, Religionen. Mich fasziniert, an wie viele Verabredungen wir uns alle halten, da und dort, und wie wenig ein Individuum davon abrücken muss, um abzudriften. Und mich interessiert immer auch die Macht und die damit oft zusammenhängende Anmassung von Menschen, Strukturen, Chefpositionen und Gesellschaften. Das Furchtbare an Macht ist ja, dass sie nicht nur mächtig ist, sondern meistens erschreckend stumpf und langweilig.
Sind diese Themen für Dich neu oder eher ein Leitmotiv Deiner Arbeit?
Sie sind ein Leitmotiv meiner Arbeit. Mich interessiert der In-Between-Zustand, der Begriff der Normalität, die Grenze zum Wahnsinn, wo, wie, wann und warum wir diese Grenze festlegen, und mich interessieren mutige Menschen, und das sind nie die mächtigen.
Mit welchen Gefühlen schaust Du auf die Niederschrift zurück?
Höchstens mit nostalgischen. Aber eigentlich blicke ich wenig zurück. Ich vergesse auch gerne. Aber es hat Spass gemacht, so zu arbeiten. Denn ich habe diverse Beobachten, Notizen, Absurditäten aus meinen Notizbüchern einer Figur – ALMA – zugeordnet und zugeschaut, was für eine Figur da entsteht. Da und dort erkenne ich mich wieder, da und dort erkenne ich andere, da und dort ist es einfach nur Alma. Und hin und wieder erinnere ich mich an viele weitere Teile, die rausflogen. So zum Beispiel arbeitete Alma einen Augenblick lang auch als Kriegsreporterin und gewann dabei sogar einen Fotopreis. Bei der Preisverleihung aber trug sie das falsche Kleid, eines mit Pailletten und hohem Beinschlitz auf der Seite, wie sich das vielleicht für eine Oscarverleihung gehört, aber nicht für eine Kriegsreporterin. Kaum hatte Alma also den Preis gewonnen, war sie schon wieder enttäuschend. Vielleicht hätte ich Almas Berufsausübung drin lassen sollen, aber ich habe irgendwann gewollt, dass Alma gar nichts tut, was einer Erwerbstätigkeit gleichkommen könnte.
Hegst Du bestimmte thematische Erwartungen an die Rezeption des Buches?
Ja, Wünsche gibt’s immer, nicht? Aber die sage ich nicht. Ich gebe Alma gerne frei. Und überlasse sie – wie sie es eigentlich in der Novelle auch tut – den anderen. Sie ist ja sowieso bereits auf dem Weg nordwärts oder Richtung Osten über die See. Aber einen Wunsch zur Lesart kann ich äussern: Man möge sie sehr ernst nehmen und zugleich nicht. Man möge sie als realistisch verstehen und zugleich nicht. Das geht.
Wie würdest Du es einordnen in die Reihe Deiner Texte?
Es ist der erste Text, von dem ich feststelle, dass er sich alleine zwischen zwei Buchdeckeln befindet; und dann noch mit goldenen Lettern versehen. Normalerweise aber finden meine Texte ihre Veröffentlichung auf der Bühne. Ich habe etliche Theaterstücke geschrieben, und liebe besonders Dialoge, die Art, wie Figuren miteinander reden. Ich mag auch die Zuspitzung, eine Überhöhung und vermeintliche Künstlichkeit. Das alles bringt die Theaterarbeit per se mit sich. Sonderbarerweise aber erfahre ich die Welt auch so. Wenn ich niederschreibe, was ich eins zu eins so beobachtet oder erlebt habe, habe ich schon zu hören gekriegt, das sei überhaupt nicht realistisch. Und wenn ich – wie auch schon - versucht habe, möglichst realistisch zu schreiben, hiess es, das sei unglaubwürdig. Nun denn, wer mutig ist, erkläre mir, was die Realität ist.
Renata Burckhardt, »Alma«, Novelle,
about books, Zürich und Berlin 2021, geb., 144 Seiten.