Ständig wechselnde Querköpfe

Der neue Chef Niklas Luhmanns

In der Gegenwart angekommen, darf auch die Soziologie humorvoll sein. Im neuesten, schmalen Nachlass-Sammelband Niklas Luhmanns, «Der neue Chef», geht es um den Vorgesetzten. «Wer ohne Vorgesetzte lebt, muss – sofern überhaupt aktiv – sich in vielen und weitverstreuten Beziehungen selbst durchsetzen», schreibt der grosse Gelehrte in dem Aufsatz «Unterwachung oder Die Kunst, Vorgesetzte zu lenken». Luhmann hat nicht nur in den tautologischen Systemen von Systemen von Systemen, die er selbst entworfen hat, nach wie vor einen Ruf wie Donnerhall. Er zählt zu den grossen Köpfen der jüngeren deutschen Geistesgeschichte.
Ich konnte mir vor Jahren in Berlin dennoch nicht verkneifen, Claus Leggewie bei günstiger Gelegenheit zu fragen, ob Luhmann, der doch so gern von der Autopoiesis sprach, möglicherweise auch ein Dichter war. «Luhmann, ein Dichter ...? Nein. Wie kommen Sie darauf?»
Der kleinformatige Band ist eine überaus vergnügliche Lektüre; für alle, die einen Vorgesetzten haben. Alle anderen wissen dann, was sie verpassen. «Wer einen Vorgesetzten hat, kann seinen Aussenverkehr bei diesem konzentrieren, statt Kraft und Zeit auf viele, ständig wechselnde Querköpfe zu verschwenden …»
Luhmann (1927–98) musste nach dem Tod seiner Frau die drei halbwüchsigen Kinder allein grossziehen. Das konnte ihn nicht davon abhalten, ein gesellschafts-, rechts- und erkenntnistheoretisches Werk von äusserst seltener Fülle und Bedeutung zu hinterlassen. Gerade um die Existenz des blendend belangreichen Bandes «Die Kunst der Gesellschaft» sollte man wissen. Den eigenen Luhmann-Leseweg beginnen, kann man, aufs beste unterhalten und womöglich auch noch gut beraten, getrost mit «Der neue Chef».

Perikles Monioudis


Niklas Luhmann, «Der neue Chef», herausgeg. und mit einem Nachwort
von Jürgen Kaube, Suhrkamp Verlag, Berlin 2016, geb., 120 Seiten.

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