Materialität der Liebe
Entre nous, Sabine Haupt!
Sabine, wo hast Du Dein neues Buch geschrieben?
Begonnen habe ich den Roman »Lichtschaden. Zement« in Griechenland, auf einer großen Dachterrasse mit einem grandiosen, geradezu bestürzend schönen Blick auf eine Bucht der Ägäis. Und abgeschlossen dann zwei Jahre später in Südindien, auch hier wieder mit Blick aufs Meer. Aber das ist nur ein Zufall, ich bin ja eher der sesshafte Typ von Schriftstellerin. Die meisten Kapitel entstanden an meinem Küchentisch in Savigny. Also nicht mit Blick aufs Meer, sondern nur auf den Genfersee. Denn meine Schreiborte haben mit meinen Büchern eigentlich nichts zu tun. Es würde mich wundern, wenn es da irgendwelche geheimen, mir selbst nicht bewussten Einflüsse gäbe. Meine literarischen Orte sind jedenfalls im Kopf, auch wenn ich sie aus der Wirklichkeit kenne, weil ich schon dort war oder sogar da gelebt habe, wie beispielsweise das Oberwallis oder das grässliche hessische Dorf, das meine Heldin, die Hotelmanagerin Hella, besucht, um eine Erbstreitigkeit zu klären.
Worum geht es, Deiner Meinung nach, in Deinem neuen Buch?
Bei meinen wissenschaftlichen Publikationen lässt sich die Frage nach dem Thema sehr leicht beantworten. Bei einem Roman, dem es weniger um zupackende Analyse als ums Erzählen geht, mit all seinen assoziativen und phantastischen Verdichtungen, gerät man mit zuviel thematischer Klarheit leicht in die falsche feuilletonistische Schublade. Deswegen habe ich mir selbst ein paar halbwegs passende Schubladen ausgedacht wie »Phantastikkrimi« oder »philosophischer Liebesroman«. Denn ich will mich ja nicht vor der Frage herumdrücken, LeserInnen haben ein Recht darauf zu wissen, worauf sie sich einlassen, bevor sie das Buch kaufen. – Also, here we go: Der Roman hat verschiedene miteinander verschränkte Ebenen. Er erzählt die Geschichte eines Familientraumas und die Liebe einer ü50-Frau zu einem u40-Mann sowie deren Kampf gegen die globalen und lokalen Machenschaften der Sand- und Zementmafia. Auf einer zweiten Ebene geht es um philosophische und politische Themen, um reale und hypothetische Verbrechen gegen die Menschlichkeit bzw. genauer: gegen Menschen, um die Auseinandersetzung mit der familiären Vergangenheit und um das Verhältnis von »Licht« und »Zement« alias Geist und Materie. Kurz: Es geht um das große, unfassbar verrückte Ganze.
Welche Themen, Geschichten, Diskurse interessieren Dich zurzeit grundsätzlich?
Liebe, Politik, Psychologie, Philosophie, Kunst und Ästhetik, Geschichte – ungefähr in dieser Reihenfolge. Das sind die Großbaustellen seit ca. meinem 12. Lebensjahr. Besonders interessant aber finde ich die Zusammenhänge zwischen diesen »Sparten« und ihren Diskursen. Was geschieht, wenn Menschen aus ganz unterschiedlichen Welten aufeinander treffen, sich verlieben, gemeinsame Projekte entwerfen oder aneinander und an den Umständen verzweifeln? Wie lassen sich solche Vorgänge verstehen, in welcher Sprache darstellen und für die LeserInnen emotional erfahrbar machen? Und: wie entwickeln sich diese Diskurse und Realitäten in den letzten Jahrzehnten? Das betrifft vor allem ökologische Perspektiven, aber auch Themen wie digitalen Transhumanismus, Sexualität oder soziale Gerechtigkeit.
Sind diese Themen für Dich neu oder eher ein Leitmotiv in Deiner Arbeit?
Die genannten Großbaustellen sind stets dieselben, auch bei meinen wissenschaftlichen und publizistischen Sachen. Ich würde sogar sagen, dass sich die Leitmotive meiner Arbeit mit den Jahren immer klarer und eindeutiger abzeichnen. Aber wohin es mich beim Schreiben dann konkret treibt, in welches Land, zu welchen Menschen, in welche Vergangenheiten und symbolisch-motivischen Zusammenhänge, das ist immer anders und jedes Mal ein neues Abenteuer.
Mit welchen Gefühlen schaust Du auf die Niederschrift zurück?
Wie immer: Mit einer Mischung aus Zweifeln und Stolz.
Hegst Du bestimmte thematische Erwartungen an die Rezeption des Buchs?
Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Frage richtig verstehe, aber ich denke, das Wichtigste ist erst einmal, dass die LeserInnen sich dem Buch aussetzen. Denn es ist ein emotional anspruchsvoller, entfesselter, stellenweise ziemlich »wilder« Roman, der ungewöhnliche Zusammenhänge herstellt und verdichtet, Abgründe auslotet und versucht, diese gedanklich und sinnlich erfahrbar zu machen. Dabei habe ich mich bemüht, die motivischen und symbolischen Bezüge, aber auch die Handlung selbst so plausibel und genau wie möglich zu konstruieren, sodass am Ende alles »aufgeht« und selbst die wunderlichsten und merkwürdigsten Dinge eine bis zuletzt spannende und überzeugende Auflösung erfahren. Ob das Buch dann als politisches Statement, Erotikroman oder theologische Spekulation gelesen wird, ist nicht so wichtig.
Wie würdest Du es einordnen in der Reihe Deiner Publikationen?
»Lichtschaden. Zement« (2021) ist nach »Der blaue Faden. Pariser Dunkelziffern« (2018) mein zweiter Roman und mein viertes literarisches Buch. Mein 50%-Job als Literaturwissenschaftlerin an der Uni lässt mir zum Glück genügend Freiheit zum literarischen Schreiben. Das sind vergleichsweise ideale Bedingungen. Für mich ist dieser zweite Roman so etwas wie die Bestätigung, dass ich nun beides bin: Wissenschaftlerin UND Schriftstellerin, zu gleichen Anteilen und beides zu hundert Prozent.
Sabine Haupt, »Lichtschaden. Zement«, Roman,
verlag die brotsuppe, Biel 2021, geb., 320 Seiten.