Siegeszug der Empörung

Entre nous, Matthias Politycki!

Matthias, wo hast Du Dein Buch geschrieben?
Nur zum geringeren Teil am Schreibtisch! Sondern vor Ort, mitten am Hang, im Regenwald, in der Massai-Steppe, im Basar, in der Kneipe. Ich glaube, Sätze, die man direkt festhält, haben eine andere Kraft als die, die man im heimischen Arbeitszimmer schreibt; man muß ja oft schnell sein und sich aufs Nötigste beschränken.

Worum geht es, Deiner Meinung nach, in Deinem Buch?
Es geht im Roman «Das kann uns keiner nehmen» um zwei Männer, die unterschiedlicher nicht hätten sein können – und zufällig im Krater des Kilimandscharo aufeinandertreffen. Im heutigen Deutschland hätten sie sich kurz übereinander empört und dann kein Wort mehr miteinander gesprochen. Im Krater des Kilimandscharo geht das nicht – im Fall meiner beiden Protagonisten der Beginn einer gemeinsamen Reise durch den afrikanischen Alltag und der Beginn einer ganz unwahrscheinlichen Freundschaft.

Welche Themen, Geschichten, Diskurse interessieren Dich zurzeit grundsätzlich?
Die weltanschauliche Spaltung der westlichen Gesellschaften; der Siegeszug der Empörungskultur auf Kosten der Diskussionskultur; die fortschreitende Segmentierung unsrer Gesellschaft in Interessens- und Identitätsgruppen; usw. usf.

Sind diese Themen für Dich neu oder eher ein Leitmotiv Deiner Arbeit?
Seit ein paar Jahren prägen sie das öffentliche Leben in Deutschland. Zunächst habe ich versucht, so oft wie möglich in andere Länder aufzubrechen; erst mit dem Band «Haltung finden» – ein Gespräch mit dem Schweizer Philosophen Andreas Urs Sommer, 2019 – habe ich wieder in unser öffentliches Gespräch zurückgefunden. Ich glaube, als Schriftsteller auch in dieser Hinsicht eine Verantwortung zu haben – obwohl Weiterschweigen natürlich die sichere Option wäre.

Mit welchen Gefühlen schaust Du auf die Niederschrift zurück?
Mit Wehmut. Selten war ich beim Schreiben so beschwingt, am Ende war es viel zu schnell schon wieder aus und vorbei.

Hegst Du bestimmte thematische Erwartungen an die Rezeption des Buches?
Gewünscht hatte ich mir vor allem, daß diejenigen, die schon mal selber in Afrika waren und dort eigene Erfahrungen sammeln konnten, meine Schilderungen authentisch und zutreffend finden. Man staunt ja immer wieder, wie sehr sich die Realität vor Ort von dem unterscheidet, was man darüber zu wissen glaubt oder medial vermittelt bekommt. Nun Zuschriften von Lesern zu erhalten, die in Afrika sogar gelebt haben und alles «richtig» finden, was im Roman dazu gesagt und geschildert wird, freut mich besonders.

Wie würdest Du es einordnen in die Reihe Deiner Texte?
Naja, es geht darin schon ans Eingemachte, daher mußte ich es ja so lustig wie möglich schreiben. In der Vorgeschichte einer der beiden Hauptpersonen habe ich eine weitere Afrikareise verarbeitet, bei der ich um ein Haar gestorben wäre. Daß ich darüber und sogar über mein eigenes Nahtoderlebnis 25 Jahre später schreiben würde, hätte ich nie gedacht. Damals war ich ja einfach nur froh gewesen, überlebt zu haben.

Matthias Politycki, «Das kann uns keiner nehmen»,
Roman, Hoffmann und Campe, Hamburg 2020, geb., 304 Seiten.

using allyou.net